Aquagene Urtikaria


Die Aquagene Urtikaria ist eine sehr seltene Form der induzierbaren Urtikaria, die durch Kontakt mit Wasser hervorgerufen wird. Die Symptome treten meist innerhalb von Sekunden bis Minuten nach Kontakt mit Wasser auf und umfassen juckende, brennende Hautausschläge und Schwellungen and Hautstellen, die mit Wasser in Kontakt gekommen sind. Auch der eigene Schweiß kann diese Beschwerden auslösen, die bis zu einer Stunde anhalten können und dann abklingen.

Die aquagene Urtikaria tritt meist in der ersten Lebenshälfte auf, und Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Sie heilt von alleine wieder ab, oft erst nach wenigen Jahren. Die genaue Ursache der aquagenen Urtikaria ist unbekannt. Es wird angenommen, dass die Erkrankung auf eine Überempfindlichkeit gegen Stoffe der Haut, die durch Wasserkontakt entstehen oder freigesetzt werden, zurückzuführen ist. Interessant ist, dass manche Patienten nur auf Salzwasser aber nicht auf Süßwasser reagieren. Wichtig ist es, die aquagene Urtikaria von anderen Formen der induzierbaren Urtikaria zu unterscheiden, mit denen sie verwechselt werden kann. Dazu gehören die Kälteurtikaria, bei der kaltes, aber nicht warmes Wasser oder Verdunstungskälte Beschwerden auslöst, und die cholinergische Urtikaria, bei der Schweiß auch eine Rolle spielt. 

Die Behandlung der aquagenen Urtikaria kann schwierig sein, ihre Heilung ist bisher nicht möglich. Das Auftreten von Symptomen kann jedoch durch die Vermeidung von Wasser oder die Einnahme eines Antihistaminikums verringert oder sogar ganz verhindert werden. Es wird empfohlen, das Antihistaminikum kontinuierlich einzunehmen und die Dosis mit ärztlicher Hilfe an den Bedarf anzupassen unter der keine Symptome bestehen. Wer schwimmen geht, kann Salben oder wasserabweisende Cremes nutzen, um die Reaktion auf Wasser zu mindern. Trotzdem sollte hier vorsichtiges herantasten empfohlen werden, da es keine Daten dazu gibt, wie effektiv diese Empfehlung ist.

Die aquagene Urtikaria ist noch zu wenig erforscht, geschuldet auch der Tatsache, dass sie sehr selten ist und oft lange unerkannt bleibt. Unserer FB-Gruppe ist recht groß und wir hatten einen Aufruf gestartet, uns zu diesem speziellen Thema ein paar Fragen zu beantworten. Ein Mitglied war bereit, direkt über ihre aquagene Urtikaria zu sprechen.

Wie gehst du mit der aquagenen Urtikaria im Alltag um?
So im Alltag habe ich keine Probleme. Gehe ich aber mal Schwimmen oder weiß, dass ich mit Wasser in Berührung komme, nehme ich vorher eine Fexofenadin 180mg. Soll man nicht, aber erst mit dieser Dosierung habe ich auch mal die Möglichkeit meinen Sohn ins Schwimmbad zu begleiten.
Auch vor dem Duschen, muss ich eine Tablette einnehmen. Mache ich das nicht, bekomme ich keine Quaddeln, aber meine ganze Haut juckt unmittelbar nach dem Duschen sehr stark, ist allerdings nach einer halben Stunde auch wieder verschwunden.
Man hat das Gefühlt, mit einer Drahtbürsten sich kratzen zu müssen.
Sonst wasche ich mich normal mit dem Waschlappen und das geht auch ohne Probleme, Duschen geht nur programmiert, indem ich vorher die Tabletten einnehme. Mal so an den Baggersee oder Schwimmen zu gehen, ist nicht möglich.
Es ist eine hohe Belastung, sich nicht frei bewegen zu können oder mal planlos was mit Familie und Freunden zu unternehmen. Fexofenadin ist mein ständiger Begleiter.

Wie sieht es mit Nahrungsmitteln aus, gibt es da einen Unterschied?
Damit habe ich keine Probleme und habe auch keine Nahrungsunverträglichkeit.

Wie geht Dein Umfeld mit der Krankheit um, wissen sie davon, reden sie darüber?
Die Familie, Bekannten- und Freundschaftskreis gehen damit ganz normal um und die meisten Freunde wissen es auch. Aber sie reden nicht direkt darüber, nur wen man so auf das Thema zu sprechen kommt.

Wie hast Du es festgestellt und wie gingen die Ärzte dann mit der Diagnose um?
Festgestellt hat das ein Hautarzt. Allerdings hatte ich seit meiner Kindheit immer damit Probleme ohne genau zu wissen warum. Zum Beispiel, wenn mich meine Mutter als Kind gewaschen hat. Dann habe ich direkt immer gejammert, dass mir die ganze Haut juckt. Die damalige Vermutung war, ob es nicht die Seife wäre, die irgendeine Reaktion hervorruft.
Später in der Pubertät habe ich dann mehr auf die PH-neutralen Produkte zurückgegriffen, die nicht so stark den Juckreiz auslösten. Das hat dann auch eine Zeit lang funktioniert und dann habe ich auf anderer hautfreundliche Produkte gewechselt.
Die Diagnose an sich, habe ich durch einen Zufall erst bekommen, als ich im Studium meinem damaligen Freund zum Hautarzt begleitet habe. Ich fragte den Arzt, was diese Hautreaktion mit Wasser auslösen könnten. Worauf er mich dann fragte, ob ich diese Reaktion auch beim Schwimmen in Baggerseen oder auch im Meer hätte, was ich bejahte. Er sagte mir dann, es wäre eine chronische aquagene Urtikaria und gab mir noch den Tipp, ich solle mir eine Badewanne mit zwei Löffeln Kaisernatron machen und dann hätte ich auch keine Reaktion. Dieser Tipp hilft auch sehr gut und habe danach auch keine Juckreiz oder andere Probleme.
„Ich bin kein Mensch, der permanent zum Arzt rennt, man versucht damit zu leben.“

 


Sicherlich gibt es zu dieser speziellen Urtikariaform jede Menge weitere Fragen. Zur Beantwortung einiger dieser Fragen konnten wir Herrn Prof. Dr. Marcus Maurer gewinnen:

Einer Patienten wurde empfohlen, vor dem Schwimmen, die „Urtikaria auszuduschen“. Ist das zu empfehlen oder besser abzuraten?
Der Tipp mit dem Ausduschen ist kritisch zu sehen. Wir kennen ja von den chronischen induzierbaren Urtikarien das Phänomen, dass nach einem Quaddelschub an der betroffenen Hautstelle nicht gleich wieder ein weiterer auftreten kann. Das nutzen tatsächlich einige Patienten, besonders Patienten mit cholinergischer Urtikaria. Sie bringen sich selbst durch Anstrengung zum Quaddeln, um so einen vorrübergehenden Schutz herzustellen. Man muss dabei aber beachten, dass das gezielte Herbeiführen von Quaddeln, dadurch dass man sich dem Reiz aussetzt (in diesem Fall also Wasser), auch zu schweren Reaktionen führen kann. Besser ist es also, den Schutz anders herzustellen, so dass sich-selbst-Quaddeln-machen nicht mehr notwendig ist und der Reiz toleriert wird.

Kann man das Antihistaminikum auch nur vor dem Schwimmen einnehmen?
Kann man schon, aber bei den meisten Patient*innen ist ja nicht nur das Schwimmen das zu Reaktionen führt. Besser als das punktuelle Einnehmen eines Antihistaminikums, also nur vor Wasserkontakt, ist es, eine kontinuierliche Behandlung mit einem gut verträglichen und nicht müde machenden Antihistaminikum durchzuführen. Hintergrund ist, dass viele Antihistaminika, eigentlich alle, ein wenig Zeit brauchen (also mehrere Tage) bis sie so gut wirken wie sie das bestenfalls tun. Also: tägliche Einnahme eines Antihistaminikums und, wenn das in Standarddosierung nicht komplett schützt, auch eine höhere Dosierung. Antihistaminika funktionieren dann am besten, wenn man das sie langfristig und in der richtigen Dosierung einnimmt und ihnen dadurch die Möglichkeit gibt, ihre volle Wirkfähigkeit zu entwickeln.

Wieso reagiert der Patient nur an bestimmten Stellen z.B. am Rumpf des Köpers?
Auf diese Frage gibt es keine gute Antwort. Es scheint so zu sein, dass Mastzellen an bestimmten Regionen des Körpers empfindlicher sein können als anderswo. Auf jeden Fall ist es so, dass es an bestimmten Körperregionen mehr Mastzellen gibt als an anderen. Manche Patienten mit aquagener Urtikaria berichten sogar, dass es nur an bestimmten Körperregionen, oft im Gesicht und am Hals, zu Beschwerden kommt, selbst wenn ein Ganzkörperkontakt mit Wasser erfolgt.

Wird es schlimmer, wenn man Wasser nicht meidet? Bzw. anders herum: besteht die Chance, dass das Immunsystem es wieder vergisst, wenn man Wasser meidet und vertut man diese Chance, wenn man Wasser an die reagierenden Körperteile lässt, egal ob mit oder ohne Antihistaminikum?
Bei dieser Antwort braucht es ein wenig Hintergrundinformation. Durch Wasserkontakt oder Meiden von Wasserkontakt erreicht man keine grundlegende Veränderung der Erkrankung, also keine Heilung aber auch keine Verschlimmerung. Es kommt durch den Wasserkontakt, wenn er zu Quaddeln führt, nur zu einer sehr kurzen Abnahme der Wasserempfindlichkeit. Diese Toleranz führt dazu, dass dann bei erneutem Wasserkontakt (z. B. am selben Tag oder am Tag danach) die Beschwerden bei Wasserkontakt nicht auftreten oder leichter. Das ist aber nicht als langfristiger Effekt zu sehen, sondern hat nur etwas damit zu tun, dass man durch den Wasserkontakt kurzfristig die Reaktionsfähigkeit reduziert hat.

Kann es sein, dass ich einen allergischen Schock bekomme obwohl das Schwimmen mit Antihistaminika bisher funktioniert hat?
Ganz grundsätzlich ist es so, dass Patienten mit chronischer induzierbarer Urtikaria (und dazu gehört die aquagene Urtikaria) ein Risiko für eine schwere allergische Reaktion und einen allergischen Schock haben. Am größten ist dieses Risiko bei der Kälteurtikaria. Bei der aquagenen Urtikaria ist das Risiko geringer. Es kann aber auch Mischformen geben. Allerdings ist das natürlich nur eine Aussage zur Wahrscheinlichkeit. Es gibt Patienten mit aquagener Urtikaria, die haben ein höheres Risiko als andere. Wenn man eine aquagene Urtikaria hat und schon einmal eine schwere allergische Reaktion bei Ganzkörperwasserkontakt hatte, sollte man ein Notfallset haben. Das Risiko für eine solche Reaktion verringert sich durch eine wirksame Behandlung, eine Therapie also mit der es gar nicht erst zu solchen Reaktionen oder überhaupt zu Quaddeln kommt und man Wasser ganz normal verträgt. Das das ist bei den meisten Patienten ja auch gut möglich, entweder durch eine Antihistaminika Behandlung oder, wenn das nicht schützt, additiv durch Omalizumab.

Was können die schwer Betroffenen an Flüssigkeit zu sich nehmen?
Die meisten Patienten mit aquagener Urtikaria können ganz normal trinken, ohne dass es zu Problemen kommt. Nur ganz wenige Patienten mit aquagener Urtikaria haben Schwierigkeiten und auch hier wirken Antihistaminika und Omalizumab sehr gut.

Welche Pflegeprodukte können sie nutzen?
Pflegeprodukte können von den meisten Betroffenen unbedenklich genutzt werden, insofern eine schützende Behandlung durchgeführt wird. . Sie sollten aber keine alleinige Wassergrundlage haben. Wenn es mit einem Antihistaminikum inklusive Höherdosierung nicht funktioniert, dann lohnt sich der Versuch, mit Omalizumab zu behandeln; hier gibt es einige Fallbeispiele, die zeigen, dass das sehr gut funktioniert.

Ich möchte mich bei den befragten Urtikaria-Patienten, die gerne anonym bleiben möchten, bei Herrn Prof. Maurer und Frau Prof. Staubach-Renz für die Unterstützung zur Erstellung dieses Textes bedanken.
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